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Rechtsanwalt Frank P. Gäbelein

Insolvenzgeld – Anspruchsberechtigung eines Organmitglieds

Autor: Frank P. Gäbelein

Thema: Arbeitsrecht (Arbeitgeber)

Veröffentlicht am: 10. März 2022

Nach § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

 

Bislang war das Bundessozialgericht (BSG) für den Insolvenzgeldanspruch von einem speziellen „arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff“ ausgegangen. Mit Urteil vom 03.11.2021 (B 11 AL 4/20 R) hat das BSG diese bisherige Rechtsprechung explizit aufgegeben und klargestellt, dass der insolvenzgeldrechtliche Arbeitnehmerbegriff, der im Gesetz nicht definiert wird, rein arbeitsrechtlich zu verstehen ist.

 

In dem durch das Bundessozialgericht zu entscheidenden Fall hatte der Kläger, der zunächst einen Arbeitsvertrag mit einer Aktiengesellschaft (AG) geschlossen hatte und später als einzelvertretungsberechtigter Vorstand der AG in das Handelsregister eingetragen worden war, bei der Agentur für Arbeit die Gewährung von Insolvenzgeld beantragt. Der Antrag des Klägers wurde durch die Agentur für Arbeit abgelehnt, da es dem Kläger aufgrund seiner Bestellung zum Vorstand an der erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft gefehlt habe.

 

Der durch die Agentur für Arbeit vertretenen Auffassung trat das BSG, im Rahmen des Urteils vom 03.11.2021, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zum speziellen „arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff“, entgegen und sprach dem Kläger einen Anspruch auf Insolvenzgeld zu.

 

Seine Rechtsprechungsänderung begründet das BSG dabei mit dem Wortlaut des § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III, in dem von „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmern“ die Rede sei, nicht jedoch von der Beschäftigung.

Die arbeitsrechtliche Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs stelle ferner die einzige überzeugende Begründung für die allgemein vertretene These dar, dass es für die Anspruchsberechtigung bezüglich des Insolvenzgelds nicht darauf ankommt, ob es sich bei der geleisteten Tätigkeit um eine versicherungspflichtige Beschäftigung (§§ 25 ff SGB III) handelt.

Weiterhin entspreche dieses Verständnis schließlich der dogmatischen Einordnung des Insolvenzgelds, das keine Versicherungsleistung im engeren Sinne der Arbeitslosenversicherung darstellt. Es handele sich um eine umlagefinanzierte Ausgleichsleistung, deren Kosten allein von den Arbeitgebern getragen werden (§§ 358 ff SGB III). Will man das Insolvenzgeld trotz der fehlenden typischen Gegenseitigkeit von Beitragszahlung und Leistungsberechtigung im Sinne eigener Risikovorsorge überhaupt als Versicherungsleistung bezeichnen, kann es sich nur um eine eigenständige Sozialversicherung handeln. Vor diesem Hintergrund lege es nicht nahe, zur Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf die (versicherungspflichtig) Beschäftigten abzustellen.

 

Unter Berücksichtigung des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs, wonach sich ein Arbeitnehmer dadurch auszeichnet, dass er auf schuldvertraglicher Grundlage im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, stufte das BSG den Kläger in diesem Fall als Arbeitnehmer ein.

 

Dabei stehe die formale Rechtsposition als Vorstand, die der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend innehatte, der Einstufung als Arbeitnehmer nicht von vornherein entgegen.

Auch insoweit hat das BSG dargelegt, dass es an der bisherigen Rechtsprechung nicht weiter festhalten wird.
Die bisherige Rechtsprechung berücksichtige nicht hinreichend, dass nach allgemeiner Ansicht zwischen der Organstellung und dem Innenverhältnis zu differenzieren sei.

 

Das BSG hat weiterhin dargelegt, dass der Anstellungsvertrag eines Vorstands als eigenverantwortlicher Geschäftsleiter wegen der herausgehobenen Stellung in aller Regel als freier Dienstvertrag iSv. §§ 611, 675 BGB zu qualifizieren sei. Soll die geschuldete Geschäftsbesorgung ausnahmsweise unentgeltlich erfolgen, handelt es sich um einen Auftrag iSv. § 662 BGB. Dagegen lässt sich der Anstellungsvertrag grundsätzlich nicht als Arbeitsvertrag iSv. § 611a BGB ansehen, weil der Vorstand einer Aktiengesellschaft im Regelfall nicht zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.

Dem stehe insbesondere § 76 Abs. 1 AktG entgegen, wonach ein AG-Vorstand seine Tätigkeit persönlich und unabhängig verrichtet sowie die Kapitalgesellschaft unter eigener Verantwortung leitet (BGH vom 24.9.2019 – II ZR 192/18). Dies schließe ein inhaltliches Weisungsrecht des „Arbeitgebers“ aus. Anders als ein Arbeitnehmer unterliegt der Vorstand ferner hinsichtlich seiner nach § 87 AktG festzusetzenden Vergütung besonderen Treuebindungen und hat deshalb unter Umständen nachträgliche Veränderungen bis hin zu Gehaltskürzungen hinzunehmen (BGH vom 27.10.2015 – II ZR 296/14). Diese aktienrechtlichen Vorgaben unterscheiden das Anstellungsverhältnis eines AG-Vorstands maßgeblich von demjenigen eines GmbH-Geschäftsführers.

 

Wird indes ein Arbeitnehmer im Rahmen seines bestehenden Arbeitsverhältnisses mit einer Kapitalgesellschaft zu deren Organ bestellt, geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass in dem Abschluss des diesbezüglichen Anstellungsvertrags im Regelfall zugleich die konkludente Aufhebung des zuvor bestehenden Arbeitsvertrags erblickt werden kann. Bestehen Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Parteiwillen oder ist etwa die in § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform nicht gewahrt, ist davon auszugehen, dass der neue Dienstvertrag nur zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt, sodass die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nach dem Ende der Organstellung wiederaufleben können.

 

Nach diesen Maßstäben sei der Kläger im Insolvenzgeldzeitraum ausnahmsweise neben seiner Stellung als Vorstand auch Arbeitnehmer der AG gewesen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 03.11.2021 – B 11 AL 4/20 R

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