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Rechtsanwalt Frank P. Gäbelein

Zulässigkeit unterschiedlich hoher Tarifzuschläge bei Nachtarbeit

Autor: Frank P. Gäbelein

Thema: Arbeitsrecht (Arbeitnehmer)

Veröffentlicht am: 1. März 2023

Unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge: Warum unregelmäßige Nachtarbeit höher vergütet wird

 

In der Arbeitswelt und vor allem in der Lebensmittelindustrie gibt es häufig Tarifverträge, die für unregelmäßige Nachtarbeit höhere Zuschläge vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit. Diese Unterscheidung sorgt immer wieder für Diskussionen und führt zu rechtlichen Auseinandersetzungen.

 

Mit Urteil vom 22. Februar 2023 (Az. 10 AZR 332/20) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass diese Regelung zulässig ist, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Im Folgenden erfahren Sie, welche Aspekte im Urteil berücksichtigt wurden und was das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedeutet.

 

Unterschiedliche Zuschläge für Nachtarbeit – Der Ausgangspunkt

 

Viele Tarifverträge, insbesondere in der Lebensmittelindustrie, sehen für unregelmäßige Nachtarbeit höhere Zuschläge vor als für regelmäßige. So beträgt im Manteltarifvertrag (MTV) der Getränkeindustrie der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 %, während unregelmäßige Nachtarbeit mit einem Zuschlag von 50 % vergütet wird.

 

Diese Differenzierung führt zu der Frage, ob sie mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist. Dieser Grundsatz besagt, dass vergleichbare Fälle nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden dürfen.

 

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Keine Ungleichbehandlung ohne Grund

 

In seiner Entscheidung hat das BAG bestätigt, dass ein solcher Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit grundsätzlich gerechtfertigt ist, wenn ein nachvollziehbarer Grund für die Differenzierung vorliegt. Ein solcher Grund könne beispielsweise die höhere Belastung sein, die durch die schlechtere Planbarkeit bei unregelmäßiger Nachtarbeit entsteht.

 

Der Fall: Ein Blick in die Getränkeindustrie

Die Klägerin, die in der Getränkeindustrie tätig ist, leistete im Streitzeitraum Nachtarbeit in einem Wechselschichtmodell und erhielt dafür den Zuschlag von 20 %, der für regelmäßige Nachtarbeit gilt. Sie war jedoch der Meinung, dass sie aufgrund des höheren Zuschlags für unregelmäßige Nachtarbeit benachteiligt sei und berief sich auf den Gleichheitssatz.

 

Das BAG urteilte jedoch, dass es einen sachlichen Grund für die Differenzierung gibt. Arbeitnehmer, die unregelmäßig Nachtarbeit leisten, haben durch die geringe Planbarkeit einen höheren Belastungsfaktor, der durch den höheren Zuschlag ausgeglichen werden soll.

 

Gesundheitsschutz und Tarifautonomie

 

Der Manteltarifvertrag (MTV) der Getränkeindustrie regelt nicht nur einen Ausgleich für die Belastungen der Nachtarbeit, sondern berücksichtigt auch die besondere Herausforderung, die durch die unregelmäßige Planung solcher Arbeitseinsätze entsteht. Damit geht der MTV über den gesetzlichen Nachtarbeitszuschlag gemäß § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) hinaus.

 

Die Tarifvertragsparteien – also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände – haben nach Artikel 9 Absatz 3 GG die Freiheit, durch Tarifautonomie selbst festzulegen, wie sie Arbeitsbedingungen gestalten möchten. Sie dürfen daher auch entscheiden, dass der höhere Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit eine faire Entschädigung für die eingeschränkte Planbarkeit ist.

 

Praxisrelevanz: Was bedeutet das Urteil für Unternehmen und Arbeitnehmer?

Das Urteil des BAG zeigt, dass unregelmäßige Nachtarbeit aufgrund ihrer geringeren Planbarkeit höhere Belastungen für die betroffenen Arbeitnehmer bedeuten kann. Der erhöhte Zuschlag dient als angemessener Ausgleich für diese Belastungen. In der Praxis bedeutet das, dass Tarifverträge zulässigerweise unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge festlegen können, solange ein nachvollziehbarer Grund im Tarifvertrag festgehalten ist.

 

Weitere Urteile mit ähnlicher Entscheidung

Das BAG fällte am gleichen Tag ähnliche Urteile zu anderen Tarifverträgen der Lebensmittelindustrie, darunter der Manteltarifvertrag für die Molkereibetriebe in Niedersachsen und Bremen und der Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie. Auch hier ging es um die Frage, ob der höhere Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit rechtmäßig ist. Das Gericht kam in allen Fällen zu dem Schluss, dass die Differenzierung aufgrund der schlechteren Planbarkeit gerechtfertigt ist und somit nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt.

 

Fazit: Klarheit bei Nachtarbeitszuschlägen

Das Urteil des BAG schafft Klarheit darüber, dass höhere Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit rechtmäßig sind, wenn sie die höhere Belastung durch die geringere Planbarkeit ausgleichen sollen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass entsprechende Regelungen in Tarifverträgen Bestand haben, solange ein sachlicher Grund dafür im Tarifvertrag zu erkennen ist.

 

Arbeitnehmer hingegen können sich darauf verlassen, dass ihre zusätzlichen Belastungen durch unregelmäßige Nachtarbeit finanziell anerkannt werden.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2023 – 10 AZR 332/20

Pressemitteilung 11/23 vom 22.02.2023

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