Zulässigkeit unterschiedlich hoher tariflicher Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit
- 03. März 2023 - 10:19
- | Frank P. Gäbelein
Verschiedene Manteltarifverträge gerade im Bereich der Lebensmittelindustrie enthalten Regelungen, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit.
Im Rahmen verschiedener Parallelverfahren hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) nunmehr zu klären, ob diese Regelungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Mit Urteil vom 22.02.2023 (Az. 10 AZR 332/20) hat das BAG insoweit entschieden, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss.
Ein solcher könne darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.
In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt arbeitete die Klägerin in einem Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis der Parteien galt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer/innen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag i.H.v. 20 %. Sie war der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Das BAG hat entschieden, dass die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit. Für diese Ungleichbehandlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben.
Der MTV beinhalte zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezwecke der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen.
Den Tarifvertragsparteien ist es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.
In mehreren Parallelverfahren vom gleichen Tag hat das BAG entschieden, dass die Auslegung der vergleichbaren tariflichen Regelungen im Manteltarifvertrag für die Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie vom 16. März 1989 (10 AZR 379/20 ), im Manteltarifvertrag für die milchbe- und verarbeitenden Molkereibetriebe Niedersachsen/Bremen vom 22. Januar 1997 (10 AZR 461/20) sowie zum Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 (10 AZR 397/20 ) ergibt, dass auch insoweit mit den höheren Zuschlägen bei unregelmäßig auftretender Nachtarbeit neben dem spezifischen Ausgleich für die Nachtarbeit die zusätzlichen Belastungen durch die fehlende Planbarkeit solcher Arbeitseinsätze ausgeglichen werden sollen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2023 – 10 AZR 332/20
Pressemitteilung 11/23 vom 22.02.2023
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- Schlagworte: Arbeitsrecht
Frank P. Gäbelein
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