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Rechtsanwalt Frank P. Gäbelein

Vorschriften im Massenentlassungsverfahren

Autor: Frank P. Gäbelein

Thema: Arbeitsrecht (Arbeitgeber)

Veröffentlicht am: 10. Februar 2022

Gemäß § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, gegenüber der Agentur für Arbeit eine entsprechende Anzeige (Massenentlassungsanzeige) zu erstatten, wenn er innerhalb von 30 Kalendertagen abhängig von der Betriebsgröße Massenentlassungen vornehmen will.

Nach der Recht-sprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei der ordnungsgemäßen Erstattung der Massenentlassungsanzeige um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der auszusprechenden Kündigung.

 

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hatte sich in jüngster Vergangenheit wiederholt mit der Frage der Ordnungsmäßigkeit von Massenentlassungsanzeigen und der daraus folgenden Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen zu beschäftigen. Betrachtet man die ergangenen Urteile, so zeigt sich, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige stetig steigen.

 

So hat zuletzt ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25.06.2021 (Az. 14 Sa 1225/20) für Aufsehen gesorgt.

 

Nach der bisherigen Rechtsprechug des BAG hat nur das Fehlen der sog. Muss-Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG (Name des Arbeitsgebers, Sitz und Art des Betriebs, Gründe für die geplanten Entlassungen, Zahl und Berufsgruppe der zu entlassenden und in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer) zur Annahme einer nicht ordnungsgemäßen Erstattung der Massenentlassungsanzeige geführt, mit der Folge der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen.

 

Nach Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts soll jedoch auch das Fehlen der sog. Soll-Angaben aus § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG (Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer) zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Gestützt hat das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung dabei im Wesentlichen darauf, dass die europäische Massenentlassungsrichtlinie (MERL) nicht zwischen Muss- und Soll-Angaben unterscheide.

 

Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 27.01.2022 den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens im Zusammenhang mit der Frage angerufen, welche Sanktion ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG (Zuleitung einer Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat an die Agentur für Arbeit) nach sich zieht.

 

Im zu Grunde liegenden Sachverhalt hatte der kündigende Insolvenzverwalter nach entsprechendem Stilllegungsbeschluss mit dem bei der Insolvenzschuldnerin bestehenden Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans vorgenommen. In Verbindung mit dem Interessenausgleichsverfahren wurde auch das im Falle einer Massenentlassung erforderliche Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt. Entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) in nationales Recht umsetzt, wurde jedoch der zuständigen Agentur für Arbeit keine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG übermittelt.

 

Mit seiner Klage hat einer der von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der ihm ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht.

 

Die unterlassene Übermittlung der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an die Agentur für Arbeit verstoße gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL. Diese enthielten nicht nur eine sanktionslose Nebenpflicht, sondern stellten eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung dar. Die Übermittlungspflicht solle sicherstellen, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhalte, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Sie habe daher arbeitnehmerschützenden Charakter. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

 

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 27.01.2022 den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ersucht, die Frage zu beantworten, welchem Zweck die Übermittlungspflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL dient. Hiervon hängt nach Auffassung des Senats ab, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unionsrechtskonform in gleicher Weise wie Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL auszulegen ist, ebenso wie andere den Arbeitnehmerschutz – zumindest auch – bezweckende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist. In diesem Fall wäre die Kündigung unwirksam.

 

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 27. Januar 2022 – Az. 6 AZR 155/21 (A)

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