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Rechtsanwalt Sebastian Kern

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – Beweisverwertungsverbot bei unterlassener polizeilicher Belehrung

Autor: Sebastian Kern

Thema: Verkehrsrecht

Veröffentlicht am: 30. September 2022

Das LG Nürnberg-Fürth entschied mit Beschluss vom 28.06.2022, dass der Halter eines an einer Unfallflucht beteiligten Fahrzeugs vor seiner polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft als Beschuldigter gemäß § 136 Abs. 1 StPO belehrt werden muss. Sofern diese Belehrung nicht erfolgt ist, sind seine getätigten Angaben nicht verwertbar.

Am 22.02.2022 soll die Beschwerdeführerin mit ihrem Pkw ausgeparkt und dabei mit dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkenden Pkw kollidiert sein. Durch den Unfall soll ein Fremdsachschaden am Pkw des Geschädigten in Höhe von 3.268,69 € entstanden sein. Obwohl sie den Unfall bemerkt und erkannt bzw. damit gerechnet hat, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war, soll sie die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, verlassen haben. Durch die Tat habe sie sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Deshalb erließ das Amtsgericht Fürth dann am 26.04.2022 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen die Beschwerdeführerin einen Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Mit Beschluss vom selben Tag entzog das Amtsgericht Fürth (Aktenzeichen: 421 Cs 703 Js 104029/22) der Beschwerdeführerin zudem vorläufig die Fahrerlaubnis und ordnete die Beschlagnahme des Führerscheins an. Der Führerschein wurde dann am 08.05.2022 beschlagnahmt.

Am 27.05.2022 legte die Beschwerdeführerin Einspruch gegen den Strafbefehl und am 14.06.2022 Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.04.2022 ein. Sie war der Meinung, dass kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Im Ermittlungsverfahren habe sie zwar gegenüber der Polizei angegeben, dass sie gefahren sei. Zuvor sei sie jedoch nicht als Beschuldigte belehrt worden. Aus diesem Grund seien ihre Angaben unverwertbar. Eine anderweitige Identifizierung als verantwortliche Fahrzeugführerin sei nicht möglich. Das Amtsgericht Fürth half der Beschwerde mit Beschluss vom 15.06.2022 nicht ab.

Mit der Beschwerde hatte die Beschwerdeführerin Erfolg. Nach Auffassung des LG Nürnberg-Fürth bestünde für ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort derzeit kein dringender Tatverdacht. Deshalb wurde der Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 26.04.2022 aufgehoben und angeordnet, dass der Angeklagten der Fuhrerschein unverzüglich herauszugeben ist.

Denn nach § 111a StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig nur dann entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB endgültig entzogen wird. Dringende Gründe für den endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis liegen dann vor, wenn dies in hohem Maße wahrscheinlich ist. Das Landgericht hielt einen endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis nach derzeitigem Ermittlungsstand zwar nicht für ausgeschlossen, gleichwohl aber nicht in hohem Maße für wahrscheinlich.
Eine Identifizierung der Angeklagten als verantwortliche Fahrzeugführerin war nach Auffassung des Landgerichts derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit gegeben.

Die polizeilichen Ermittlungen hätten zur Angeklagten als Halterin des Fahrzeugs geführt. Ein Zeuge habe den Unfall beobachtet und der Polizei das Kennzeichen des unfallverursachenden Fahrzeugs mitgeteilt. Er habe ferner angegeben, dass es sich bei der Fahrzeugführerin um eine ältere Dame, ca. 50-70 Jahre, gehandelt habe. Anschließend sei die Beschwerdeführerin über eine Kennzeichenabfrage als Halterin des flüchtigen Pkws an ihrer Anschrift angetroffen worden und habe – informatorisch befragt – die Fahrereigenschaft eingeräumt. Auf die erst danach erfolgte Beschuldigtenbelehrung habe sie dann von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Die Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber der Polizei seien unverwertbar, weil sie bereits vor der ersten Befragung durch den Polizeibeamten nach § 136 Abs. 1 StPO als Beschuldigte hätte belehrt werden müssen. Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sei der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigter betrieben wird. Grundsätzlich sei es dabei der pflichtgemäßen Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde überlassen, ob sie gegen jemanden einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie ihn als Beschuldigten verfolgt. Wenn aber ausreichende Gründe dafür vorlägen, einen einer Straftat Verdächtigen als Beschuldigten zu verfolgen, dürfe dieser nicht aus sachfremden Erwägungen in die Rolle eines Zeugen gedrängt und nur eine „informatorische Befragung“ durchgeführt werden. Bedeutsam sei dabei die Stärke des Tatverdachts, den der Polizeibeamte gegenüber dem Befragten hege. Hierbei habe der Beamte zwar einen Beurteilungsspielraum, den er jedoch nicht mit dem Ziel missbrauchen dürfe, den Zeitpunkt der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO möglichst weit hinauszuschieben.

Es sei vom Polizeibeamten ermessensfehlerhaft gewesen, die Beschwerdeführerin vor ihrer Befragung nicht als Beschuldigte zu behandeln und entsprechend zu belehren. Die mögliche Täterin sei nicht mehr nur in einer nicht näher bestimmten Personengruppe zu suchen gewesen. Vielmehr habe sich der Tatverdacht nach der Ermittlung der Angeklagten als Fahrzeughalterin bereits auf sie verdichtet, auch wenn grundsätzlich noch andere Personen als Nutzer ihres Fahrzeugs in Betracht kamen. Denn bei der Ausübung des Ermessens müsse auch der gesetzliche Schutzzweck des § 136 Abs. 1 StPO berücksichtigt werden, dass durch die Belehrung gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden solle, dass es ihm freisteht, keine Angaben zu machen. Dieses Belehrungsgebot wolle sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt werde, zu der er möglicherweise durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte. Dieser Zweck werde im vorliegenden Fall nur dann gewahrt, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs vor seiner Befragung entsprechend belehrt werde.

Dies gelte nach Meinung des Landgerichts erst recht, wenn wie in dem zu entscheidenden Fall eine vorhandene Personenbeschreibung des Fahrers auf den Halter zutreffe. Der Zeuge E. hat die Fahrzeugführerin als ältere Dame zwischen 50 und 70 Jahren beschrieben. Die angetroffene 80-jährige Beschwerdeführerin als Halterin passte offensichtlich zu der Personenbeschreibung des Zeugen. Es habe sich deshalb dem ermittelnden Polizeibeamten bereits vor der informatorischen Befragung aufdrängen müssen, dass sie nicht nur die Halterin, sondern auch die Fahrerin zum Unfallzeitpunkt gewesen sein könnte.
Weiter führte das Landgericht in seiner Begründung aus, dass die Frage, ob von diesen Grundsätzen dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn etwa äußere Umstände den Schluss zuließen, dass der Fahrer vom Halter divergieren könnte (zum Beispiel bei Firmenwägen oder Personenbeschreibungen des Fahrers, die vom Halter abweichen), dahingestellt bleiben könne, weil eine solche Ausnahme nicht vorliege.

Aus der Verletzung der Belehrungspflicht ergebe sich mithin ein Beweisverwertungsverbot. Ein Ausnahmefall, in dem die Angaben gleichwohl verwertet werden dürften, liege nämlich nicht vor. So sei angesichts der Befragung der Angeklagten durch den Polizeibeamten auch keine Spontanäußerung gegeben, bei der eine vorherige Belehrung nicht erforderlich wäre.

Schließlich sei auch eine sonstige Identifizierung der Beschwerdeführerin als verantwortliche Fahrzeugführerin jedenfalls derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit gegeben. Die Tatsache, dass sie Halterin des unfallverursachenden Fahrzeugs sei und eine vage Personenbeschreibung (ältere Dame, 50-70 Jahre) auf sie zutreffe, ließe den Tatverdacht zwar nicht gänzlich entfallen, gleichwohl liege derzeit aber kein dringender Tatverdacht vor.

So werde es der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben müssen, ob sich der Tatverdacht durch weitere Ermittlungen (etwa Durchführung einer Wahllichtbildvorlage mit dem Zeugen oder Einholung einer konkreteren Personenbeschreibung beim Zeugen) erhärten ließe.

Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, sich möglichst frühzeitig bereits im Ermittlungsverfahren mit einem erfahrenen Rechtsanwalt im Verkehrsrecht in Verbindung zu setzen: „Schweigen ist (meistens) Gold.“

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