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Rechtsanwalt Jochen König

Maßgeblicher Zeitpunkt für die insolvenzrechtliche Anfechtung

Autor: Jochen König

Thema: Insolvenzantragstellung und Begleitung im Insolvenzverfahren

Veröffentlicht am: 31. März 2021

Die rechtlichen Wirkungen einer Rechtshandlung treten ein, wenn eine Rechtsposition begründet wird, die ohne Anfechtung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste; auf den Eintritt einer Benachteiligung der Gläubigergesamtheit kommt es nicht an.

Wird eine mittelbare Zuwendung gegenüber dem Leistungsempfänger angefochten, die in der Weise bewirkt worden ist, dass ein Geldbetrag auf das Konto einer Zwischenperson überwiesen wurde und diese den Betrag an den Leistungsempfänger durch Überweisung weitergeleitet hat, ist die Wertstellung auf dem Konto des Leistungsempfängers der für die Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung maßgebliche Zeitpunkt.

(BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 – IX ZR 64/20)

Anmerkung:

Der BGH stellt im Falle der Zwischenschaltung eines Leistungsmittlers klar, dass es für die Beurteilung der Voraussetzungen, hier Kenntnis des Anfechtungsgegners, einer Insolvenzanfechtung nicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die Schuldnerin an den Zahlungsmittler leistet, sondern auf den Zeitpunkt, in dem der Dritte eine zu beachtende Rechtsposition erlangt.

 

Auch merkt das Gericht hier in sehr eindrucksvoller Weise an, dass bei Leistungen im Dreipersonenverhältnis zwar grundsätzlich auf den für den Empfänger sich objektiv darzustellenden Ablauf abzustellen ist. Aber wenn auch Mittler und Schuldnerin sich grundsätzlich einem Zahlungsspruch ausgesetzt sehen könnten, so soll der Dritte nur eine eigene Leistung des Zahlungsmittlers annehmen können, wenn sich die Leistungspflichten der Schuldnerin und des Mittlers gleichwertig gegenüberstehen. Im vorliegenden Fall sah das Gericht eine Leistungspflicht des Mittlers, hier Haftung für Steuerverbindlichkeiten gem. § 69 AO, als zweifelhaft an, sodass auch der Dritte nicht von einer Zahlung des Mittlers auf „eigene“ Verpflichtungen ausgehen konnte.

Sachverhalt:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. April 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Der Verfahrenseröffnung waren ein Fremdantrag des beklagten Landes vom 13. Dezember 2014 und ein Eigenantrag vom 19. Januar 2015 vorausgegangen. Unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung verlangt der Kläger zuletzt noch Rückgewähr dreier Steuerzahlungen, die über das private Girokonto des Geschäftsführers der Schuldnerin an das zuständige Finanzamt des Beklagten geflossen sind.

Die am 30. September 2013 gegründete Schuldnerin befand sich seit Ende 2013 in finanziellen Schwierigkeiten. Rücklastschriften und Vollstreckungsmaßnahmen waren die Folge. Insbesondere Sozialversicherungsbeiträge leistete die Schuldnerin nicht mehr ordnungsgemäß. Wegen rückständiger Lohnsteuer für den Monat November 2013 und rückständiger Umsatzsteuer für die Monate Oktober und November 2013 erließ das Finanzamt am 25. März 2014 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über 17.029,42 €. Die beabsichtigte Pfändung des dem Finanzamt bekannten Kontos der Schuldnerin ging ins Leere, weil das Konto bereits vor Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gekündigt worden war. Am 27. Mai 2014 versuchte das Finanzamt in das bewegliche Vermögen der Schuldnerin zu vollstrecken. Der Vollstreckungsversuch verlief fruchtlos.

Die erste noch streitgegenständliche Zahlung von 5.000 € erhielt das Finanzamt am 28. Mai 2014 durch Überweisung vom Privatkonto des Geschäftsführers der Schuldnerin unter Angabe von deren Steuernummer. Dem war vorausgegangen die Überweisung eines Betrags in gleicher Höhe vom Geschäftskonto der Schuldnerin auf das Privatkonto ihres Geschäftsführers. Die Wertstellung auf dem Privatkonto erfolgte am 23. Mai 2014. Im Verwendungszweck der Überweisung der Schuldnerin an ihren Geschäftsführer waren das Finanzamt und die Steuernummer der Schuldnerin aufgeführt. Die zweite und dritte Zahlung erfolgten in entsprechender Weise. Am 29. Mai 2014 erhielt das Finanzamt durch Überweisung vom Privatkonto des Geschäftsführers 2.500 €, am 5. Juni 2014 weitere 2.000 €. Beträge in entsprechender Höhe waren am 27. Mai und 2. Juni 2014 von der Schuldnerin auf das Privatkonto ihres Geschäftsführers überwiesen worden. Auch diese Überweisungen erfolgten unter Benennung des Finanzamts und der Steuernummer der Schuldnerin; im Verwendungszweck der Überweisungen des Geschäftsführers an das Finanzamt war die Steuernummer der Schuldnerin angegeben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Berufungsbegehren weiter und hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe:

Der BGH führt hierzu aus:

„Bestreitet der Anfechtungsgegner, von einer die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners Kenntnis erlangt zu haben, obwohl eine solche nach den objektiven Umständen anzunehmen ist, steht in Fällen der Vorsatzanfechtung allein seine Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners infrage (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2013 – IX ZR 4/13, WM 2013, 2074 Rn. 17 ff; vom 24. Oktober 2013 – IX ZR 104/13, WM 2013, 2231 Rn. 12 ff; vom 12. April 2018 – IX ZR 88/17, WM 2018, 958 Rn. 7 ff).

 

Der von § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO aF verlangte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners knüpft an die von ihm vorgenommene, eine Gläubigerbenachteiligung hervorrufende Rechtshandlung an. Spiegelbildlich muss der Anfechtungsgegner erkannt haben, dass die Rechtshandlung des Schuldners dessen Gläubiger benachteiligt und dass der Schuldner dies auch wollte. Der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners sind mithin auf die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung des Schuldners bezogen (BGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO Rn. 18). Deshalb muss der Anfechtungsgegner neben der Willensrichtung des Schuldners auch die von diesem ausgehende Rechtshandlung nebst der dadurch hervorgerufenen Gläubigerbenachteiligung im Allgemeinen erkannt haben (BGH, Urteil vom 12. April 2018, aaO Rn. 7).

 

Die nach § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist schon durch die Überweisung der Gelder an den Geschäftsführer eingetreten. Dadurch ist das der Gläubigergesamtheit haftende Vermögen der Schuldnerin verkürzt worden. Dass bis zur bestimmungsgemäßen Weiterleitung der Gelder an das Finanzamt noch ein Herausgabeanspruch der Schuldnerin gegen den Geschäftsführer bestanden haben mag, hindert den Eintritt der Gläubigerbenachteiligung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. September 2015 – IX ZR 215/13, WM 2015, 1996 Rn. 10 mwN). Das Erlöschen eines Herausgabeanspruchs gegen den Geschäftsführer durch die Weiterleitung der Gelder hätte zudem eine weitere Gläubigerbenachteiligung bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2012 – IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 Rn. 12).“

 

Im Weiteren bestätigt der BGH den bereits vom Berufungsgericht gesehenen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und unterstellt unter Heranziehung der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 S.2 InsO a.F., dass der Dritte, das Finanzamt, auch Kenntnis von diesem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz hatte.

 

Zum fraglichen Zeitpunkt führt der BGH dann aus:

„Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung ist die Wertstellung auf dem Konto des Beklagten. Die Wertstellung der ersten Zahlung ist am 28. Mai 2014 erfolgt, die der weiteren beiden Zahlungen danach.

 

aa) Ob die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands gegeben sind, beurteilt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen in dem nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt. Für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO aF gilt nichts Anderes. Wird eine mittelbare Zuwendung, wie im Streitfall, dadurch bewirkt, dass der Schuldner Gelder an den Leistungsmittler überträgt, die bestimmungsgemäß an einen seiner Gläubiger weitergeleitet werden sollen, kommen zwei Zeitpunkte in Betracht – der Eingang der Gelder beim Leistungsmittler oder deren Weiterleitung an den Gläubiger. Welches der maßgebliche Zeitpunkt ist, hat der Bundesgerichtshof noch nicht ausdrücklich entschieden (vgl. aber BGH, Urteil vom 16. November 2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 28).

 

bb) Im Schrifttum wird ersichtlich einhellig auf den Zeitpunkt des Eingangs der Gelder beim Leistungsmittler abgestellt (MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 140 Rn. 32; Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 140 Rn. 7; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 4. Aufl., § 140 Rn. 7; vgl. auch Kuhn, KTS 1963, 65, 77; ders., WM 1964, 998, 1004). Dies wird mit der bereits mit dem Abfluss der Gelder beim Schuldner eintretenden Vermögensminderung begründet (MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, aaO; Uhlenbruck/Borries/Hirte, aaO; vgl. auch Kuhn, KTS 1963, 65, 77; ders., WM 1964, 998, 1004).

 

cc) Diese Auffassung trifft nicht zu. Richtig ist allerdings, dass bereits der Abfluss der Gelder beim Schuldner eine Vermögensminderung bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 – IX ZR 185/13, ZIP 2016, 426 Rn. 28). Auf den Eintritt dieser Vermögensminderung kommt es jedoch jedenfalls dann nicht an, wenn eine mittelbare Zuwendung gegenüber dem Leistungsempfänger angefochten wird.

 

Gemäß § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Die Norm bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass der Zeitpunkt entscheiden soll, in dem durch die Handlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet werden müsste (BTDrucks. 12/2443, S. 166; BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 353). Der Zeitpunkt der Begründung der nach § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Rechtsposition und der Eintritt der nach § 129 Abs. 1 InsO für jede Anfechtung erforderlichen objektiven Gläubigerbenachteiligung fallen häufig, aber nicht notwendig zusammen (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, aaO Rn. 5). Für die Bestimmung des nach § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Zeitpunkts kommt es nur auf die Begründung der Rechtsposition an.

 

Die große Mehrzahl der Anfechtungstatbestände begnügt sich mit einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im Anfechtungsprozess eintreten kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2012 – IX ZR 77/11, ZInsO 2012, 2338 Rn. 15). Es liegt auf der Hand, dass es in einem solchen Fall für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzungen nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Gläubigerbenachteiligung ankommen kann. Entscheidend ist allein die Begründung der Rechtsposition, in deren Folge (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 – IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246, 253; für das AnfG) es zu der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung kommt. Das stand nie infrage. Soweit der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit für den nach § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Zeitpunkt auch auf den Eintritt der Gläubigerbenachteiligung abgestellt hat, betraf dies Fälle, in denen die Begründung der Rechtsposition und der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung zusammenfielen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 – IX ZR 252/01, BGHZ 156, 350, 357; vom 14. Dezember 2006 – IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196 Rn. 13; vom 9. Juli 2009 – IX ZR 86/08, NZI 2009, 644 Rn. 35).

 

Da es für die Bestimmung des nach § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Zeitpunkts auf die Begründung der Rechtsposition ankommt, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet werden müsste, kann die Gläubigerbenachteiligung der nach § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Rechtsposition auch vorausgehen. So liegt der Streitfall. Ob und gegebenenfalls wann eine Rechtsposition entstanden ist, die ohne die Anfechtung beachtet werden müsste, kann nicht ohne Rücksicht auf die Person des Anfechtungsgegners beurteilt werden (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, aaO Rn. 1; Schmidt/Büteröwe, InsO, 19. Aufl., § 140 Rn. 1). Das wird deutlich, wenn man den Fall einer infolge Insolvenzeröffnung steckengebliebenen mittelbaren Zuwendung in den Blick nimmt. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners nach Übertragung der Mittel auf den Leistungsmittler, aber vor deren Weiterleitung an den Leistungsempfänger eröffnet, hat sich die Rechtsposition des Leistungsempfängers durch den Abfluss der Gelder aus dem Schuldnervermögen nicht verändert. Vorbehaltlich etwaiger gesondert vereinbarter Zugriffsrechte auf die Gelder gibt es nichts, was ohne eine Anfechtung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu Gunsten des Leistungsempfängers beachtet werden müsste (vgl. G. Fischer, ZIP 2004, 1679, 1682). Daraus folgt, dass der Zeitpunkt des Vermögensabflusses für die Beurteilung der Voraussetzungen der Anfechtung einer mittelbaren Zuwendung gegenüber dem Leistungsempfänger nicht der nach § 140 Abs. 1 InsO maßgebliche sein kann.

 

Es ist vielmehr auf die Weiterleitung der Gelder abzustellen. Erfolgt diese, wie im Streitfall, durch Überweisung, ist die maßgebliche Rechtsposition begründet, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers gegen seine Bank auf Gutschrift des für ihn bestimmten Geldbetrags entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2002 – IX ZR 177/99, ZInsO 2002, 721). Das entspricht dem Tag der Wertstellung (vgl. § 675t Abs. 1 Satz 2 BGB; BGH, Urteil vom 17. Juni 1997 – XI ZR 239/96, NJW 1997, 3168).

 

Diese Sicht der Dinge entspricht dem Grundsatz, dass eine mittelbare Zuwendung so zu behandeln ist, als habe der Leistungsempfänger direkt vom Schuldner erworben (BGH, Urteil vom 19. März 1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968, 975, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 138, 291; vom 16. September 1999 – IX ZR 204/98, BGHZ 142, 284, 288; vom 16. November 2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 25). Es gibt keinen Grund, den Empfänger einer mittelbaren Zuwendung dadurch zu bevorzugen, dass der für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzungen maßgebliche Zeitpunkt auf den Eingang der Gelder beim Leistungsmittler vorverlegt wird. Das gilt insbesondere auch im Blick auf die nach § 133 Abs. 1 InsO aF erforderliche Kenntnis des Leistungsempfängers vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners. Käme es insoweit auf den Vermögensabfluss an, wären die tatsächlichen Verhältnisse zu einem Zeitpunkt entscheidend, in dem der Leistungsempfänger von der an ihn gerichteten Zuwendung regelmäßig noch nichts weiß.“

 

Dem Einwand des Anfechtungsgegners, der Mittler habe auf eine eigene Verbindlichkeit bezahlt, begegnete der BGH mit folgender Begründung:

 

„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beurteilt sich die Frage, ob der Dritte die Tilgung einer Eigen- oder Fremdverbindlichkeit bezweckt, aus der objektiven Warte des Leistungsempfängers (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – IX ZR 59/07, WM 2008, 2178 Rn. 21; vom 19. Januar 2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 18; vgl. auch Beschluss vom 24. September 2020 – IX ZR 260/19, WM 2020, 2086 Rn. 3). Die insolvenzrechtlichen Zuordnungskriterien entsprechen insoweit denen des bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriffs (BGH, Urteil vom 19. Januar 2012, aaO Rn. 19). Diese Rechtsprechung betrifft die Deckungsanfechtung nach den §§ 130, 131 InsO und auch die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nach § 134 InsO. Die Grundsätze gelten jedoch entsprechend, wenn es, wie hier, um eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO aF und um die Frage geht, ob der Anfechtungsgegner von einer die Gläubigergesamtheit benachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners Kenntnis hatte.

 

Nicht jede neben der Verbindlichkeit des späteren Schuldners bestehende Eigenverbindlichkeit des leistenden Dritten rechtfertigt die Annahme, dieser habe auf die Eigenverbindlichkeit zahlen wollen. Vielmehr muss die Annahme aus der Sicht einer vernünftigen Person in der Lage des Empfängers nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte naheliegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 – III ZR 38/04, NJW 2005, 60 f; zu § 812 BGB). Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die Eigenverbindlichkeit des Dritten im Vergleich zu der des späteren Schuldners dem Grunde und/oder der Höhe nach zweifelhaft ist und es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, der Dritte wolle auf eine derart zweifelhafte Verbindlichkeit zahlen. Dass der Dritte im Zweifel die eigene Verbindlichkeit tilgen wolle (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012, aaO Rn. 20), darf der nach § 133 Abs. 1 InsO aF in Anspruch genommene Anfechtungsgegner allenfalls annehmen, wenn beide Verbindlichkeiten unzweifelhaft oder zumindest gleichermaßen zweifelhaft sind; letzteres etwa deshalb, weil sich die Zweifel auf eine Anspruchsvoraussetzung beziehen, von der beide Verbindlichkeiten abhängen.

 

Nach diesen Grundsätzen durfte der Beklagte nicht davon ausgehen, der Geschäftsführer habe unter Verwendung eigener Mittel auf eine eigene Verbindlichkeit gezahlt.

 

(1) Es fehlt schon an hinreichenden Feststellungen zu einer bereits in den Zeitpunkten der Zahlungen bestehenden eigenen Verbindlichkeit des Geschäftsführers der Schuldnerin gegenüber dem Beklagten. In Betracht kommt nur ein Haftungsanspruch nach § 69 AO. Ein entsprechender Haftungsbescheid nach § 191 AO war seinerzeit noch nicht erlassen. Auch das Prüfverfahren für Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer der Schuldnerin wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst im September 2014 eingeleitet. Der Haftungsbescheid erging im Mai 2016. Der Anspruch aus § 69 AO hat Schadensersatzcharakter. Die Haftung beschränkt sich auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet wurde (BFHE 153, 512, 514; BFH/NV 1997, 7, 8). Das Berufungsgericht ist von fälligen Umsatzsteuerschulden für die Monate Dezember 2013 bis März 2014 in Höhe von 22.697,44 € und einer offenen, ebenfalls die Umsatzsteuer betreffenden Sondervorauszahlung für das Jahr 2014 in Höhe von 9.977 € ausgegangen. Die objektive Pflichtverletzung hat es in der nicht fristgerechten Entrichtung der Steuern erblickt. Die Pflichtverletzung indiziere den gegenüber dem Geschäftsführer der Schuldnerin zu erhebenden Schuldvorwurf. Feststellungen dazu, welcher Betrag infolge der von ihm angenommenen schuldhaften Pflichtverletzung nicht rechtzeitig entrichtet wurde, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Dies hängt davon ab, welche Mittel der Schuldnerin zur Verfügung standen. Reichten die Mittel, was in Anbetracht der finanziellen Schwierigkeiten der Schuldnerin naheliegt, nicht zur Begleichung sämtlicher Verbindlichkeiten, haftete der Geschäftsführer bezüglich der hier in Rede stehenden Umsatzsteuer nur in dem Umfang, in dem er das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hatte. Zur Ermittlung des Haftungsbetrags war die (geschätzte) Quote der Gesamtschuldentilgung zu ermitteln. Diese war auf die im Haftungszeitraum geschuldeten Abgaben anzuwenden. Von dem so ermittelten Betrag waren die Zahlungseingänge im Haftungszeitraum abzuziehen (BFH/NV 2013, 504 Rn. 18). Dass sich danach ein Haftungsanspruch des Beklagten gegen den Geschäftsführer jedenfalls in Höhe der hier angefochtenen Zahlungen ergab, ist auch nicht sonst ersichtlich.

 

(2) Es kann dahinstehen, ob ein Haftungsanspruch aus § 69 AO in Höhe der angefochtenen Zahlungen bestand. Wegen der Beschränkung auf den infolge der schuldhaften Pflichtverletzung nicht rechtzeitig entrichteten Betrag und mangels (bestandskräftiger) Festsetzung durch einen Haftungsbescheid war der Anspruch, im Gegensatz zur Steuerverbindlichkeit der Schuldnerin, jedenfalls der Höhe nach zweifelhaft. Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer auf eine derart zweifelhafte Forderung zahlen wollte, liegen nicht vor. Es war noch nicht einmal das Prüfverfahren eingeleitet. Die Annahme, der Geschäftsführer habe von sich aus seine Haftungsschuld erfüllen wollen, liegt fern.“

Resümee:

Der BGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass der Zeitpunkt, in der die Gläubigerbenachteiligung i.S. des § 129 InsO eintritt, nicht notwendigerweise mit dem die weiteren Anfechtungsvoraussetzungen zu prüfenden Zeitpunkt i.S. des § 140 InsO identisch sein muss.

 

Auch verdeutlicht er, dass es im Dreipersonenverhältnis nicht ausreicht, dass der Zahlungsmittler auf eine möglicherweise bestehende Eigenschuld zahlt, sondern diese zweifelsfrei bestehen müsse. Nur dann könne sich der Zahlungsempfänger dadurch entlasten, dass er davon ausgehen durfte, die Zahlung stamme vom Mittler und nicht der späteren Schuldnerin.

 

Es zeigt sich abermals, dass stets der Blick auf alle Details einer anfechtungsrelevanten Sachlage gerichtet werden muss, um hier rechtssicher eine umfassende Würdigung vornehmen zu können.

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