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Rechtsanwalt Frank P. Gäbelein

Betriebsrisiko – coronabedingte Betriebsschließung / Anspruch auf Annahmeverzugslohn

Autor: Frank P. Gäbelein

Thema: Arbeitsrecht (Arbeitnehmer)

Veröffentlicht am: 11. August 2022

Im Rahmen eines Urteils vom 04.05.2022 (Az. 5 AZR 366/21) hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) anlässlich einer coronabedingten Betriebsschließung erneut und diesmal sehr differenziert, mit der Frage auseinandergesetzt, in welchen Fällen der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt und damit unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugslohns auch die Vergütung der Arbeitnehmer schuldet.

 

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt war die klagende Arbeitnehmerin bei der Beklagten als „Servicekraft für Spielstätten“ in einer Spielstätte in Wuppertal beschäftigt.

Die Beklagte musste zunächst aufgrund einer Allgemeinverfügung der Stadt Wuppertal und sodann aufgrund der CoronaSchVO NRW die Spielstätte schließen, konnte die Klägerin nicht beschäftigen und zahlte keinen Lohn an die Arbeitnehmerin.

 

Das BAG hat im vorliegenden Fall entschieden, dass der klagenden Arbeitnehmerin kein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs aus § 615 Satz 1, § 611a Abs. 2 BGB zusteht, auch wenn sich der beklagte Arbeitgeber im Annahmeverzug befunden hat, zumal er die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht beschäftigt hat.

 

Das BAG hat insoweit zunächst klargestellt, dass § 615 Satz 1 BGB nicht unmittelbar die Fälle der sog. „Annahmeunmöglichkeit“ erfasst, in denen – wie vorliegend – der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers annehmen möchte, aber nicht annehmen kann, und dass in Fällen, in denen dem Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung wegen einer Störung des Arbeitssubstrats nicht möglich ist, er aber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers (§ 611a Abs. 2 BGB) nicht bereits unmittelbar nach § 615 Satz 1 BGB, sondern über dessen in § 615 Satz 3 BGB angeordnete entsprechende Anwendung aufrechterhalten bleibt.

 

§ 615 Satz 3 BGB regelt selbst nicht, in welchen Fällen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko, weil er den Betrieb leitet, die betrieblichen Abläufe organisiert, die Verantwortung trägt und die Erträge bezieht. Dieser Bezug auf die vom Arbeitgeber veranlasste und gesteuerte arbeitstechnische Organisation rechtfertigt die Zuordnung zu dem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko bei – wie vorliegend – von außen gesetzten Störursachen jedenfalls dann, wenn diese unmittelbar auf die Betriebsmittel einwirken oder untrennbar mit der vom Arbeitgeber bewusst initiierten Zwecksetzung der arbeitstechnischen Organisation verbunden sind. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber grundsätzlich mit Arbeitsausfällen rechnen und entsprechende Vorkehrungen treffen.

 

Ob der Arbeitgeber das Entgeltrisiko auch bei einer öffentlich-rechtlich verfügten Betriebsschließung trägt, richtet sich nach dem Zweck der Maßnahme und somit danach, ob diese an die Arbeits- oder Produktionsbedingungen des betroffenen Betriebs und bzw. oder ein hieraus resultierendes konkretes Infektionsgeschehen in diesem Betrieb anknüpft.

 

Zielt eine behördliche Maßnahme darauf, einem im Betrieb des Arbeitgebers angelegten besonderen Risiko zu begegnen, etwa, weil die vom Arbeitgeber gewählten Produktionsmethoden oder -bedingungen oder von ihm zu verantwortende Arbeitsbedingungen (wie zB in Teilen der Fleischwirtschaft und bei Saisonkräften in der Landwirtschaft) eine besonders hohe Ansteckungsgefahr innerhalb der Belegschaft in sich bergen, trifft ihn das Risiko des Arbeitsausfalls und ist er nach § 615 Satz 3 iVm. Satz 1 und § 611a Abs. 2 BGB zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung für die von ihm gewählten und organisierten betrieblichen Abläufe und hat dafür einzustehen, dass seine Arbeitnehmer durch diese nicht im Vergleich zur Allgemeinheit zusätzlichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt werden.

 

Dagegen trägt der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn die behördlich verfügte Betriebsschließung im Rahmen allgemeiner Maßnahmen staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung erfolgt und – betriebsübergreifend – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich gerade nicht ein in einem bestimmten Betrieb aufgrund seiner konkreten Produktions- und Arbeitsbedingungen – dem Betriebssubstrat – angelegtes Risiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage, die der einzelne Arbeitgeber nicht – auch nicht im weitesten Sinne – verursacht und zu verantworten hat. Dieses „allgemeine Risiko“, das Folge letztlich politischer Entscheidungen zur Eindämmung des die Allgemeinheit insgesamt treffenden Infektionsrisikos ist, muss der Arbeitgeber – bei gebotener wertender Betrachtung – nicht tragen. Für die Zurechnung des Betriebsrisikos in diesen Fällen genügt eine bloße „(besondere) Eigenart“ des Betriebs oder seine „Publikumsaffinität“ nicht ohne weiteres. Hinzukommen muss vielmehr eine objektive Verantwortung für die die Verbreitung des die Pandemie auslösenden Krankheitserregers in besonderer Weise begünstigenden Arbeits- und Produktionsbedingungen in dem betroffenen Betrieb. Nur in diesem Fall handelt es sich auch um einen Grund „auf Seiten“ des Gläubigers der es rechtfertigt, dem Arbeitgeber das Entgeltrisiko zuzuweisen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist es Sache des Staates, gegebenenfalls für einen angemessenen Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen.

 

Das BAG hat im Rahmen der Entscheidung weiter klargestellt, dass es für die Einordnung eines Risikos als Betriebsrisiko nicht auf – mögliche – nachgelagerte Ansprüche ankommt. Diese haben auf das Bestehen bürgerlich-rechtlicher Ansprüche aus § 615 Satz 3 iVm. Satz 1, § 611a Abs. 2 BGB keinen Einfluss. Unerheblich ist insoweit, ob der Staat für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch seinen hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile tatsächlich gesorgt hat, sowie die Frage, ob das Risiko, den Betrieb aufgrund hoheitlicher Maßnahmen schließen zu müssen, versicherbar ist.

Für die Risikoverteilung unerheblich ist nach den Darlegungen des BAG ferner, ob der Arbeitgeber das Betriebsrisiko „abmildern“ könnte, etwa durch den Abbau von Überstunden und Gleitzeitguthaben oder die Gewährung von Urlaub. Sofern Arbeitgeber und Arbeitnehmer derartiges – ohne Rücksicht darauf, ob es rechtlich überhaupt möglich ist – einvernehmlich verabreden, betrifft dies nur die Auswirkungen einer behördlich angeordneten Betriebsschließung, besagt aber nichts darüber, wer das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat. Dasselbe gilt für das Instrument der betriebsbedingten Kündigung. Die Annahme, der Arbeitgeber könne sein Zahlungsrisiko durch ordentliche betriebsbedingte Kündigungen begrenzen dürfte bei einer vorübergehenden Betriebsschließung aufgrund behördlicher Anordnung mit dem Ultima-Ratio-Prinzip nur schwerlich zu vereinbaren sein, jedenfalls solange der Arbeitgeber die behördliche Anordnung nicht zum Anlass nimmt, seinen Betrieb endgültig stillzulegen.

 

Gemessen an diesen Grundsätzen hatte im Streitfall der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls wegen der Schließung der Spielstätte aufgrund geltenden CoronaSchVO zu tragen.

 

Die durch die CoronaSchVO vorgesehene Schließung aller Spielhallen und ähnlichen Einrichtungen richtete sich nicht speziell gegen die Beklagte und nicht gegen ein gerade in deren Betrieb(en) angelegtes besonderes Gesundheitsrisiko. Entsprechendes gilt für die Allgemeinverfügung der Stadt Wuppertal vom 16. März 2020, die zunächst zur Einstellung des Betriebs, in dem die Klägerin beschäftigt war, geführt hatte.

 

Die Untersagung des Betriebs von Freizeit-, Kultur-, Sport- und Vergnügungsstätten war in der CoronaSchVO eingebettet in verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor weiteren SARS-CoV-2-Infektionen und dem damit verbundenen Risiko schwerer und tödlicher Krankheitsverläufe, insbesondere auch des Verbots von Veranstaltungen, Feiern und ähnlichen Zusammenkünften sowie der Beschränkung des Aufenthalts im öffentlichen Raum. Ein Bezug zu einem konkreten Infektionsgeschehen im Betrieb der Beklagten oder in vergleichbaren Betrieben bestand nicht. Die CoronaSchVO verfolgte vielmehr, wie die zuvor erlassenen Allgemeinverfügungen der Stadt Wuppertal, das übergreifende Ziel, das Risiko von Infektionen einzudämmen und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens aufrechtzuerhalten. Die hoheitlichen Eingriffe dienten damit allgemeinen epidemiologischen und gesundheitspolitischen Zielen. Sie erfassten die Gesamtbevölkerung des Landes Nordrhein-Westfalen (und letztlich mit vergleichbaren Maßnahmen aller anderen Bundesländer die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik) und beschränkten sich nicht auf die Abwehr besonderer, von einzelnen Betrieben ausgehenden Gefahren, sondern sollten in allgemeiner Weise das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung eindämmen, um eine die Gesellschaft insgesamt treffende Gefahrenlage zu bekämpfen.

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.05.2022 – 5 AZR 366/21

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