Betriebliche Übung bei der Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld – arbeitsvertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt
- 03. Juli 2023 - 11:11
- | Frank P. Gäbelein
Ansprüche von Arbeitnehmern auf Leistungen, insbesondere Sonderzuwendungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, aus sog. betrieblicher Übung sind regelmäßig Gegenstand arbeitsgerichtlicher Verfahren.
Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden.
Im Rahmen eins nunmehr veröffentlichten Urteils vom 25.01.2023 (Az. 10 AZR 109/22) hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut mit der Frage der Entstehung von Ansprüchen aufgrund betrieblicher Übung und der Wirkung eines im Arbeitsvertrag enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalts befasst.
In dem zu Grunde liegenden Sachverhalt hatte der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber für das Jahr 2020 die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld geltend gemacht, nachdem ihm in den Jahren 2015 bis 2019 jeweils im Abrechnungsmonat Juni ein Urlaubsgeld und im Abrechnungsmonat November ein Weihnachtsgeld zusammen mit dem jeweiligen Monatsentgelt ohne weitere Erklärungen gewährt worden war. Im Jahr 2020 hatte der beklagte Arbeitgeber die Zahlung eingestellt.
Im Arbeitsvertrag der Parteien war ein sog. Freiwilligkeitsvorbehalt mit dem Wortlaut „Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.“ enthalten.
Das BAG hat den Anspruch des klagenden Arbeitnehmers auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) festzusetzender Höhe aus betrieblicher Übung bejaht und insoweit festgestellt, dass der im Arbeitsvertrag enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt sowie die Schriftformklausel einem Anspruch aus betrieblicher Übung nicht entgegenstehen.
Insoweit hat das BAG ausgeführt, dass die wiederholte Gewährung durch den Arbeitgeber als Vertragsangebot zu werten ist, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB) und hieraus vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen erwachsen.
Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist dabei nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und ob er auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte. Bei den durch betriebliche Übung begründeten Vertragsbedingungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. §§ 305 ff. BGB.
Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung (bspw. Gratifikation im Kalenderjahr) oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat.
Eine vertragliche Bindung wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn besondere Umstände ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründen. Dabei kommt dem konkreten Verhalten des Arbeitgebers, insbesondere dessen Intensität und Regelmäßigkeit, entscheidendes Gewicht zu. Für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen ist insoweit die Regel aufgestellt worden, nach der eine zumindest dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, falls nicht besondere Umstände hiergegen sprechen oder der Arbeitgeber bei der Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft ausgeschlossen hat.
In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall konnten die bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer nach den vorstehenden Grundsätzen unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände wie der Häufigkeit der Leistung und der jeweils vorbehaltlos erfolgten Auszahlung die über die Dauer von mehreren Jahren erfolgten Zahlungen der Zuwendungen in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld unter Beachtung von Treu und Glauben nur so auffassen, dass sich der beklagte Arbeitgeber verpflichten wollte, jährlich und damit auch zukünftig Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu gewähren.
Der Umstand, dass die jeweiligen Zahlungen nicht in gleichbleibender Höhe erfolgten, führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Aus der nicht gleichförmigen Höhe der Sonderzahlung in den vergangenen Jahren mussten die Beschäftigten nicht den Schluss ziehen, die Beklagte habe sich nicht dem Grund nach auf Dauer binden wollen. Vielmehr folgt daraus lediglich, dass die Arbeitgeberin keinen Leistungsanspruch in fester Höhe gewähren, sondern jedes Jahr neu nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) über die Höhe der beiden Leistungen entscheiden will.
Der in dem Arbeitsvertrag aufgenommene Freiwilligkeitsvorbehalt steht der Annahme einer betrieblichen Übung und eines daraus folgenden Anspruchs auf Zahlung eines jährlichen Urlaubs- und Weihnachtsgelds nicht entgegen. Dieser stellte sich als unwirksam dar, weil die diesbezügliche Bestimmung den Kläger gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt.
Der Arbeitsvertrag enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. §§ 305 ff. BGB. Dies gilt auch für den sog. Freiwilligkeitsvorbehalt. Auch bei diesem handelt es sich um eine Vertragsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB.
Mit der von ihm gestellten Klausel behält sich der beklagte Arbeitgeber zunächst ein einseitiges Recht zur (erstmaligen) Entscheidung über die Gewährung von Sonderzuwendungen vor. Der Hinweis, derartige Zahlungen lägen im „freien Ermessen des Arbeitgebers“, bedeutet aber weitergehend, dass der Arbeitgeber sich deren Gewährung generell vorbehält und lediglich die – stets geltenden – allgemeinen Schranken der Rechtsausübung, insbesondere den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, die Willkür- und Maßregelungsverbote sowie den Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten hat, die Entscheidung aber nicht am Maßstab der Billigkeit auszurichten ist.
Dabei bezweckt die Klausel die Festlegung eines späteren Erklärungsverhaltens bereits im Vertrag, indem sie bestimmt, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen auch dann keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet, wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt. Sie zielt damit auf die Verhinderung des Entstehens jedes Rechtsanspruchs des Arbeitnehmers in Bezug auf Sonderzuwendungen ab, die nicht anderweitig im Vertrag festgelegt sind.
Mit diesem Inhalt hält die Vertragsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand. Die Klausel ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, denn sie stellt nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf Sonderzuwendungen ab und lässt nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB die Auslegung zu, dass der Vorbehalt auch spätere Individualabreden über die Zahlung von Sonderzuwendungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld erfasst.
Aus der vertraglichen Formulierung ist für den Arbeitnehmer nicht klar erkennbar, dass sich diese nur auf die Verhinderung einer betrieblichen Übung bezieht. Auf den Entstehungsgrund der Leistung stellt die Vertragsklausel nicht ab. Der Wortlaut des Arbeitsvertrags erfasst sowohl Fälle der betrieblichen Übung und auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarungen als auch konkludente und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Eine Beschränkung auf die Verhinderung einer betrieblichen Übung oder die Vermeidung eines entsprechenden Erklärungswerts vorbehaltloser Zahlungen lässt sich dem Wortlaut hingegen nicht entnehmen. Zwar wird in der Klausel darauf hingewiesen, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen auch dann im freien Ermessen des Arbeitgebers liege, wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt. Die Verwendung der Worte „auch wenn“ deutet jedoch darauf hin, dass eine anspruchsausschließende Wirkung der Zahlung gerade nicht nur im Fall einer vorbehaltlosen Gewährung der Leistung ohne ausdrückliche Vereinbarung erfolgen soll, sondern auch in anderen Fällen. Dies gilt umso mehr, als die Klausel vorliegend in Kombination mit einer einfachen Schriftformklausel verwendet wird. Dies verstärkt beim Vertragspartner des Verwenders ein Verständnis, wonach alle späteren Abreden, welche nicht in schriftlicher Form getroffen wurden, einschließlich Individualabreden, rechtlich entgegen § 305b BGB ohne Bedeutung für den Inhalt des Vertrags sein sollen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.01.2023 – 10 AZR 109/22
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Frank P. Gäbelein
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